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Live-Untertitelung: Interview mit Birgit Grübl

Vor rund 40 Jahren begann der ORF mit der Untertitelung erster TV-Programme. Seither hat sich viel getan: Mehr als 17.000 Stunden Programm pro Jahr werden mittlerweile mit Untertiteln angeboten; viele Sendungen darunter werden live bzw. semi-live untertitelt. Doch wie funktioniert die Live-Untertitelung im Fernsehen eigentlich? Und wie kommt dabei das sogenannte „Respeaking“ – ein zentraler Bestandteil der Live-Untertitelung – genau ins Spiel?

 

Wir durften uns heute mit Birgit Grübl, ihres Zeichens etablierte Live-Untertitlerin und Lektorin am Zentrum für Translationswissenschaft der Universität Wien sowie am Institut für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft der Universität Graz, austauschen. Dabei haben wir erfahren, worauf es bei der Live-Untertitelung für das Fernsehen wirklich ankommt.

 

Frau Grübl, können Sie in wenigen Sätzen zusammenfassen, welche Aufgaben auf Live-Untertitler:innen beim Fernsehen zukommen?

Sehr gern. Ganz grundsätzlich muss man hier vorausschicken, dass die meisten Sendungen, mit denen wir zu tun haben, semi-live sind. Das bedeutet, dass die Sendungen einerseits aus vorbereiteten Beiträgen und andererseits aus Live-Gesprächen bestehen, wie das beispielsweise bei der „Zeit im Bild“ der Fall ist.

Bei den vorbereiteten Beiträgen erhalten wir den Text oder das Video bereits vorab, d. h. wir können die zugehörigen Untertitel im Vorhinein vorbereiten und dann live auf Sendung schicken. Meistens arbeitet man aber auch hier unter Zeitdruck, weil manche Beiträge erst kurz vor oder während der Sendung hereinkommen. Trotzdem hat man aber etwas mehr Zeit, die Untertitel vorzubereiten und schöner zu formulieren, zu paraphrasieren und zu kürzen. Denn auf der einen Seite muss man ja ein bestimmtes Zeichenlimit berücksichtigen – nämlich 37 Zeichen pro Zeile; und auf der anderen Seite auch eine bestimmte Lesegeschwindigkeit – ca. 5 Sekunden für zwei Zeilen.

Neben den vorbereiteten Beiträgen gibt es auch Live-Gespräche, man denke etwa an die Interviews mit geladenen Gästen zu aktuellen Themen im Rahmen der „Zeit im Bild“. Bei diesen Live-Interviews arbeiten wir mit dem sogenannten „Respeaking“, d. h. wir sprechen das Gehörte simultan ein, oder anders formuliert, dolmetschen einsprachig das, was gesagt wird. Auch hier müssen wir natürlich immer wieder umformulieren oder zusammenfassen. Zusätzlich dazu überprüfen wir die eingesprochenen Untertitel auch noch auf etwaige Fehler, bevor wir sie dann auf Sendung schicken. Das muss alles sehr rasch gehen – Live-Gespräche lassen sich ja nicht einfach stoppen.

 

Sehr spannend. Und all diese Tätigkeiten kann man alleine stemmen?

Wir arbeiten meistens zu zweit. Dann machen wir aber mehrere Sendungen gemeinsam und bereiten diese auch gemeinsam vor. Je nach Dienstzuteilung ist die eine Redakteur:in dann bei der einen Sendung für den Live-Teil zuständig und die andere Redakteur:in bei der nächsten Sendung usw. Die Person, die gerade nicht live „respeakt“, sendet dann die vorbereiteten Beiträge semi-live. Man sollte aber bereit sein, für die Kolleg:in im Notfall live einzuspringen, falls es zum Beispiel ein technisches Problem gibt. Bei längeren Live-Gesprächen wechselt man sich außerdem nach ca. 30 Minuten ab, manchmal auch schon nach 20 Minuten – je nachdem, wie herausfordernd der Gesprächsverlauf ist.

 

Ich kann mir vorstellen, dass es manchmal heiß hergeht. Hat man denn die Möglichkeit, sich inhaltlich auf die Sendungen vorzubereiten?

Wir haben im Vorfeld Zugriff auf unser internes Redaktionssystem, in dem wir einsehen können, was für die einzelnen Sendungen geplant ist. Dementsprechend können wir uns dann auch inhaltlich vorbereiten. Allerdings kann es insbesondere bei Nachrichtensendungen immer wieder kurzfristige Änderungen geben, je nachdem, was in der Welt gerade so passiert. Da kann es dann also auch ganz spontan unerwartete Live-Schaltungen geben. Und dann gibt es natürlich auch Sendungen, die komplett live sind, wie zum Beispiel die Übertragungen der Nationalratssitzungen oder die politische Diskussionssendung „Im Zentrum“. Da gibt es höchstens eine kurze Einleitung oder einen kurzen Beitrag, der vorbereitet werden kann.

Zur Vorbereitung zählt außerdem die Arbeit mit unserer Spracherkennungssoftware Dragon, die mit unserer Untertitelungs-Software FAB gekoppelt ist. Über Dragon sprechen wir die Untertitel ein und über FAB können wir diese dann senden. Mit Dragon kann ich im Vorfeld trainieren, d. h. ich kann verschiedene Vokabel einsprechen und bestimmten Aussprachen bestimmte Wörter zuordnen. Wenn beispielsweise von „den Wählern einer Partei“ die Rede ist – „die Wähler“ also im Dativ stehen –, dann schreibt Dragon stattdessen vielleicht „WLAN“, wie in „Internet-WLAN“, in den Untertitel, weil es gleich ausgesprochen wird. Hier hätte ich dann zum Beispiel die Möglichkeit, „WLAN“ aus dem Vokabular in Dragon herauszulöschen, damit es zu keinen Verwechslungen kommt. Das ist bei ähnlich klingenden Wörtern nämlich oft der Fall und kann durchaus auch amüsant sein, solange man damit halt nicht auf Sendung geht (schmunzelt).

 

Das heißt also, je mehr ich mit Dragon trainiere, desto besser weiß ich dann Bescheid darüber, welche Wörter „funktionieren“, und welche nicht.

Richtig. Wenn wir mit Dragon trainieren, haben wir auch die Möglichkeit, bei der Aussprache – der gesprochenen Version von Wörtern – noch ein zusätzliches Wort wie etwa „Makro“ hinzuzufügen. Das kann vor allem bei Vokabeln oder Eigennamen, die zu einem gewissen Zeitpunkt gehäuft vorkommen und die Dragon wegen der Verwechslungsgefahr oft falsch wiedergibt, praktisch sein: Wenn ich zum Beispiel „Präsident Trump“ sage, dann steht im Untertitel u. U. etwas Falsches, wie „Tramp“. Wenn ich bei der geschriebenen Version „Trump“ die Aussprache „Makro Trump“ oder „Makro Tramp“ zuordne, kann ich ganz einfach „Präsident Makro Trump“ sagen. Dragon greift dann auf das eingespeicherte Vokabular zurück und schreibt folglich richtigerweise „Präsident Trump“ in den Untertitel. Das kann sehr hilfreich sein, wobei man sich natürlich merken muss, welche Wörter man mit Makros eingespeichert hat …

 

Das kann sicherlich auch seine Tücken haben …

Auf jeden Fall! Bei manchen Sendungen brauche ich zum Beispiel das Wort „Koalition“ sehr häufig. Und manchmal schreibt Dragon dann „Kollision“ statt „Koalition“. Das ist etwas, was man beim Korrekturlesen relativ leicht übersieht, weil Anfang und Ende beider Wörter ident sind. Und weil solche Ausbesserungen außerdem wertvolle Zeit kosten, habe ich mir gedacht, ich lösche „Kollision“ ganz einfach aus dem Vokabular heraus und hinterlege es mit einem Makro. Ich war daraufhin immer ganz erfreut, wie gut „Koalition“ bei den Sendungen funktioniert, bis zu dem Zeitpunkt, als es eine Live-Sendung zu einer Kollision von zwei Pkws gab. Ich sage also: „Es kam zu einer Kollision“, und wundere mich: „Wieso schreibt Dragon das nicht richtig hin?“ Also noch einmal: „Kollision“. Und wieder steht da: „Koalition“. Ich habe mich furchtbar über die Spracherkennung geärgert und bin dann auf „Zusammenstoß“ ausgewichen – alternativ dazu hätte ich das entsprechende Wort natürlich auch eintippen können. Tja, erst im Nachhinein habe ich mich dann daran erinnert, dass ich „Makro Kollision“ hätte sagen müssen, damit es im Untertitel richtig aufscheint (lacht).

 

Das heißt man sollte bei der Live-Untertitelung auf jeden Fall ein hohes Maß an Flexibilität mitbringen, wenn einmal etwas nicht so klappt, wie man sich das vorgestellt hat?

Ganz genau, flexibel auf kurzfristige Änderungen reagieren zu können, ist immer wieder gefragt.

 

Welche Herausforderungen bringt Ihre Arbeit noch so mit sich? Oder anders gefragt: Welche Fertigkeiten sollte ich als Live-Untertitler:in mitbringen?

Neben der gerade eben erwähnten Flexibilität sollte man sicherlich auch Stressresistenz mitbringen. Egal ob es zu kurzfristigen Programmänderungen oder technischen Schwierigkeiten kommt, die Untertitel müssen trotzdem auf Sendung gehen. In solchen Situationen heißt es: Ruhe bewahren und zusammenhelfen – auch Teamfähigkeit wird bei uns daher großgeschrieben.

Außerdem ist es mit Blick auf das „Respeaking“ sicherlich von Vorteil, wenn man bereits Erfahrung im Simultandolmetschen hat. Das ist zwar keine Voraussetzung, weil wir hauptsächlich einsprachig live untertiteln, aber eine Dolmetscher- oder auch eine Übersetzerausbildung ist sicherlich trotzdem eine gute Basis.

Und was natürlich ganz wichtig ist, ist die Rechtschreibung. Die muss sitzen, weil man ja nicht viel Zeit hat, sich beispielsweise zu überlegen: „Muss ich da einen Beistrich setzen oder nicht?“ Übrigens muss ich die Satzzeichen beim „Respeaking“ immer dazusagen, also „Komma“, „Punkt“, „groß Sie“, wenn das „Sie“ groß geschrieben sein soll usw. Das heißt, die Zeichensetzung muss ich auch immer im Kopf haben – das ist ein wesentlicher Unterschied zum Dolmetschen.

Darüber hinaus sollte man ein breites Allgemeinwissen mitbringen, sodass man in verschiedensten Bereichen einsatzfähig ist. Man hat, wie gesagt, nicht immer so viel Zeit, sich inhaltlich vorzubereiten.

Und zu guter Letzt sollte man auch technikaffin sein. Wir arbeiten mit vielen verschiedenen Programmen – vom Redaktionssystem angefangen über die Spracherkennung bis hin zur Untertitelungs-Software – da ist viel technisches Know-how gefragt.

 

Wie konnten Sie sich all dieses Wissen aneignen bzw. wie war Ihr persönlicher Weg zur Live-Untertitelung?

Ich bin ganz zufällig zur Live-Untertitelung gekommen. Ich habe im Jahr 2010 mein Konferenzdolmetschstudium mit den Sprachen Französisch und Spanisch an der Universität Wien abgeschlossen und bin dann 2012 durch eine Ausschreibung beim ORF auf das Live-Untertiteln aufmerksam geworden. Nachdem ich viele der dort genannten Anforderungen erfüllt habe und die Tätigkeit sehr interessant geklungen hat, habe ich mich kurzerhand beworben. Und nach einem mehrstufigen Auswahlverfahren der Untertitelungsredaktion hat es dann geklappt.

Der Zufall wollte es wohl auch, dass der ORF wenige Jahre zuvor – nämlich 2009 – mit dem „Respeaking“ begonnen hatte. Und das ist ja, wie gesagt, eine Tätigkeit, die sehr gut zum Simultandolmetschen passt. Ich hatte also eine gute Ausgangsbasis und den Umgang mit den einzelnen Programmen, wie Dragon und FAB, lernte ich dann vor Ort.

Mittlerweile arbeiten wir mit viel mehr Programmen – es ist unglaublich, was sich technologisch in den vergangenen zehn Jahren in diesem Bereich getan hat. Wir testen automatische Spracherkennungssysteme und arbeiten ergänzend damit, etwa bei gewissen vorbereiteten Sendungen. Für Sendungen im Dialekt und Live-Gespräche im Fernsehen wie etwa in der „Zeit im Bild“ würden sie sich nicht eignen, weil wir doch einiges ausbessern müssten. Und vor allem formulieren wir auch um und fassen zusammen, weil wir ja die Stehzeit der Untertitel berücksichtigen müssen.

 

Was macht für Sie persönlich den Reiz an dieser Tätigkeit aus?

Auf jeden Fall die Abwechslung! Es gibt immer wieder Sondersendungen zu neuen Themen – nicht immer zu erfreulichen Themen klarerweise –, aber die Themenvielfalt finde ich grundsätzlich sehr spannend.

Außerdem mache ich sehr gerne Live-Sendungen, bei denen man sich kurzfristig absprechen und als Team zusammenarbeiten muss. Es ist immer ein tolles Gefühl, wenn dann alles glatt gelaufen ist und man von außen nicht mitbekommen hat, wie viele spontane Änderungen es hinter den Kulissen gegeben hat.

Und dann schätze ich auch die flexiblen Arbeitszeiten sehr. Man kann für Dienste von Montag bis Sonntag eingeteilt werden, d. h. man kann auch einmal unter der Woche freie Tage genießen oder verstärkt abends arbeiten – Letzteres mag ich beispielsweise ganz gerne.

Schön ist außerdem, dass wir immer wieder Neues dazulernen: Seit etwa zwei bis drei Jahren befasst sich ein kleines Team innerhalb unserer Redaktion, bei dem ich auch dabei bin, zum Beispiel auch mit Audiodeskription. Wir geben fertig produzierte Hörfilme für die Ausstrahlung im ORF frei oder korrigieren bei extern produzierten Skripten eventuell noch Fehler bzw. geben diese ebenfalls frei, bevor externe Sprecher:innen die Tonspur aufnehmen. Außerdem korrigieren wir von externen Autor:innen produzierte AD-Skripten in einem Audiodeskriptionsprogramm, das von Kollegen unserer Redaktion entwickelt wurde und das den Text mit synthetischer Stimme wiedergibt. Danach produzieren wir die Tonspur mit der Audiodeskription. Vereinzelt werden auch von uns selbst AD-Skripten im synthetischen Audiodeskriptionsprogramm verfasst. Es gibt also immer wieder neue Bereiche, die dazukommen, und dadurch wird es nie langweilig.

 

Das klingt wirklich sehr abwechslungsreich und vielfältig. Gibt es denn einen Bereich, der Ihnen besonders Spaß macht oder der Sie besonders interessiert?

Ich interessiere mich sehr für Politik – sowohl für die nationale als auch für die internationale. Das ist ein spannender Bereich, in dem sich immer etwas tut. Ich würde mir die politischen Sendungen auch privat ansehen und so kann ich mich auch im Rahmen meiner Arbeit damit beschäftigen, das finde ich schon sehr schön.

Gleichzeitig mag ich, wie gesagt, die Abwechslung – auch im Hinblick auf die unterschiedlichen Formate und die Anforderungen, die diese Formate mit sich bringen. Wir erstellen etwa auch Untertitel für timecodierte Sendungen. Bei Shows wie dem „Song Contest“ wiederum gibt es hin und wieder auch interlinguale Anteile, wenn beispielsweise etwas auf Englisch gesagt wird. Da können wir das Gesagte, wenn sinnvoll, dann gleich dolmetschen und „respeaken“. Das finde ich dann auch immer sehr reizvoll.

 

Und noch eine Frage zum Schluss: Gibt es vielleicht einen besonderen Einsatz oder eine witzige Begebenheit, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Lustige Begebenheiten gibt es natürlich genug – Dragon ist schließlich immer wieder für amüsante Verwechslungen gut. In einer Sendung ging es beispielsweise um „das Testen von symptomatischen Personen“ und dass das „besonders wichtig“ sei. In den Untertiteln war dann Folgendes zu lesen: „Das Testen von sympathischen Personen ist besonders wichtig.“ Also „sympathisch“ statt „symptomatisch“, solche Dinge können relativ leicht passieren. In solchen Fällen ist es dann natürlich wichtig, das noch rasch zu korrigieren, bevor man den Untertitel auf Sendung schickt.

Und was besondere Einsätze anbelangt: Was mir schon in spezieller Erinnerung ist, ist die Corona-Zeit. Da haben wir dann plötzlich in zwei Teams gearbeitet und durften mit den Kolleg:innen aus dem zweiten Team nicht zusammentreffen, damit es immer einsatzfähige Redakteur:innen gibt. Da waren wir in unserer Redaktion komplett abgeschirmt. Essen wurde uns vor die Tür geliefert, damit kein Kontakt zu anderen besteht. Das war eine schwierige und anstrengende Zeit. Gleichzeitig war ich aber auch froh, dass ich zur Arbeit gehen konnte und ich somit zumindest den sozialen Kontakt mit den Kolleg:innen hatte.

 

Das waren sehr spannende Einblicke in Ihre Arbeit als Live-Untertitlerin beim Fernsehen! Vielen herzlichen Dank dafür und für Ihre Zeit!

 

Von Barbara Meinx

Wien, Februar 2024

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