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Externe Übersetzungsdienstleister sind immer gefragter: Über das neue Ausschreibungsverfahren der EU-Kommission und die Übersetzer der Zukunft

Ein Interview mit dem Leiter des Referats für externe Übersetzung der EU-Kommission, Dr. Werner Grünewald.

UNIVERSITAS Austria: Herr Dr. Grünewald, Sie sind der Leiter des Referats für „Externe Übersetzung“ der EU-Kommission – was genau ist die Aufgabe Ihres Referats und wie lange gibt es diese Abteilung schon?

Werner Grünewald: Das Referat gibt es schon seit vielen Jahren. Bei der EU-Kommission nimmt der Personalabbau im Bereich der Übersetzung bei grundsätzlich gleichzeitiger Zunahme des Produktionsvolumens seit einigen Jahren zu – dadurch haben externe Übersetzungen einen immer größeren Stellenwert. Wir stellen die administrative Seite der externen Übersetzung, und unsere Aufgabe besteht daher hauptsächlich im Einkauf externer Übersetzungsdienstleistungen, insbesondere durch die Organisation von Ausschreibungen sowie der administrativen Abwicklung der Verträge.

Wenn ein bestimmtes Dokument intern nicht übersetzt werden kann, sind wir dafür zuständig, den entsprechenden Rahmenvertrag (soweit vorhanden) und den am besten geeigneten externen Partner auszuwählen und die Übersetzung an ihn zu vergeben. Wenn die fertige Übersetzung an uns geliefert wird, erfolgt die sprachliche und qualitative Bewertung durch die zuständige Sprachabteilung.

UNIVERSITAS Austria: Kommen wir zu Ihrem eigenen Werdegang: Wie sind Sie zum Übersetzen bzw. im Zuge dessen zur Europäischen Kommission gekommen?

Werner Grünewald: Da muss ich Sie leider enttäuschen: Ich bin eigentlich gar kein Übersetzer. Ursprünglich habe ich VWL studiert und anschließend im Bereich Statistik promoviert. 1992 habe ich an einem Auswahlverfahren der EU-Kommission für Statistiker teilgenommen und wurde daraufhin als Methodiker rekrutiert. Nach 13 Jahren an einer deutschen Regionaluniversität und 13 Jahren im statistischen Amt der Europäischen Union hatte ich den Wunsch, nochmal etwas Neues zu probieren – und so bewarb ich mich erfolgreich für eine Managementposition in der Generaldirektion Übersetzung.

Von 2005 bis 2010 habe ich zwei Referate für Übersetzung in der deutschen Sprachabteilung geleitet und mich in dieser Zeit mit der Tätigkeit des Übersetzens vertraut gemacht. In diesem Zusammenhang konnte ich mich davon überzeugen, dass es sich hierbei um eine höchst anspruchsvolle und sehr komplexe Tätigkeit handelt.

In den folgenden sechs Jahren war ich dann, ebenfalls in der Generaldirektion Übersetzung, für das Referat „Evaluierung und Analyse“ verantwortlich, das man sich als internen Berater für das Senior Management vorstellen kann.
Seit Herbst 2016 leite ich nun das Referat für Externe Übersetzung, mit dem ich bereits im Zuge einer Evaluierung näher in Kontakt gekommen war.

UNIVERSITAS Austria: Die neuen Rahmenverträge für Freelancer sollen ab sofort anders und partnerschaftlicher gestaltet werden – was genau heißt das?

Werner Grünewald: Bisher gab es ein sogenanntes „dynamic ranking system“: Man konnte sich als Übersetzungsdienstleister bewerben, musste bestimmte Kriterien erfüllen, ein preisliches Angebot vorlegen und wurde anhand all dieser Kriterien bei erfolgreicher Bewerbung in eine Rangordnung aufgenommen. Das Prinzip dieses Ansatzes ist, dass Übersetzungen immer an den Ranghöchsten aller verfügbaren externen Partner vergeben werden. Die gelieferten Übersetzungen werden einer Qualitätsprüfung unterzogen und benotet – damit kann sich auch die Rangordnung verändern, denn schlecht bewertete Dienstleister fallen nach unten, während gut bewertete Übersetzer in der Rangordnung aufsteigen.

Ein Platz in der Rangliste bedeutet aber keinesfalls eine Garantie für Aufträge, niedriger gelistete Anbieter gehen häufig über längere Zeit hinweg leer aus, sind dann aber oft im Fall unerwarteter, kurzfristiger Anfragen auch nicht verfügbar – denn auch diese Anbieter müssen ihr Geld verdienen und das funktioniert eben nicht, wenn man nur auf Aufträge wartet…

Wir haben und hatten in der jüngeren Vergangenheit zunehmende Probleme mit diesem System, die dazu führten, dass Übersetzungen immer häufiger nicht extern vergeben werden konnten beziehungsweise nicht unseren qualitativen Ansprüchen genügten.

Die aktuelle Ausschreibung folgt einem neuen System: Vielleicht kennen Sie ja noch das ABBA-Lied „The winner takes it all“ – genauso funktioniert es hier: Vom Gewinner der Ausschreibung, also dem 1. Platz im Ranking, wird erwartet, dass er alle Aufträge übernimmt. Damit verbunden sind dann entsprechende Einnahmen, auf die er sich einstellen kann. Auf diese Weise entsteht eine engere Partnerschaft, Dienstleister und Auftraggeber lernen sich kennen, Herausforderungen können gemeinsam in Angriff genommen werden. Für die Generaldirektion Übersetzung der Europäischen Kommission hat das auch den Vorteil, dass dadurch der externe Partner bekannt ist. Das macht einen großen Unterschied, denn bisher wussten die einzelnen Übersetzungsabteilungen gar nicht, an wen eine Übersetzung letztendlich vergeben wurde …

Eine weitere Neuerung ist, dass die Bewerber dieses Mal sehr umfangreich in den Bereichen Übersetzung, Revision und Management getestet werden.

UNIVERSITAS Austria: Was raten Sie Übersetzern, die gern für die EU-Kommission arbeiten würden?

Werner Grünewald: In erster Linie müssen sie natürlich gute Dienstleister und erfahrene Experten sein. Darüber hinaus müssen sie aber auch in der Lage sein, die sehr spezielle Denkweise der Übersetzungen zu verinnerlichen sowie bestimmte formale Anforderungen, die vor allem an die Übersetzung von Rechtstexten gestellt werden, zu erfüllen.

Die einzelnen Sprachabteilungen stellen zu diesem Zweck schriftliche Materialien für externe Übersetzungen zur Verfügung. Darüber hinaus planen einzelne Sprachabteilungen immer wieder spezifische Seminare oder sonstige Veranstaltungen, die auch zu einer Vertiefung der Kontakte zwischen den externen Partnern und der Generaldirektion Übersetzung der Europäischen Kommission führen.

Am 05.06.2019 findet eine Informationsveranstaltung in Wien statt, bei der wir potentiell Interessierte ausführlich über die neuen Ausschreibungsbedingungen und die an die Kandidaten gestellten Anforderungen informieren werden. Informationsveranstaltungen dieser Art werden in allen 28 EU-Mitgliedsländern abgehalten (https://ec.europa.eu/info/files/trad19-info-sessions_en).

UNIVERSITAS Austria: Was wird aus den fest angestellten Übersetzern bei der EU-Kommission? Wird es auch weiterhin Auswahlverfahren für eine Festanstellung geben?

Werner Grünewald: Das ist im Moment schwer zu sagen. Derzeit sind wir in einer Phase des Personalabbaus, aber es gibt auch die gegenläufige Tendenz, dass dringend Nachwuchs gebraucht wird: Die Altersstruktur vor allem in den „alten“ Sprachen (der ursprünglichen EU-Mitglieder) ist ungünstig und viele erfahrene Kollegen werden in absehbarer Zeit in Rente gehen.

Daher ist davon auszugehen, dass es auch weitere Auswahlverfahren für eine Festanstellung geben wird, es ist nur unklar, wann, in welchem Umfang und unter welchen Umständen.

UNIVERSITAS Austria: Wie sehen Sie im Allgemeinen die zukünftigen Tendenzen der Übersetzungsaktivitäten in der EU-Kommission?

Werner Grünewald: Übersetzen ist eine hochkomplexe intellektuelle Tätigkeit und wir werden immer Übersetzer brauchen – allerdings werden sich die Jobprofile und die Anforderungen an die künftigen Übersetzer ändern. Vom Übersetzer der Zukunft werden, nicht zuletzt wegen der immer stärker in den Vordergrund tretenden maschinellen Übersetzung, immer stärker IT-Kenntnisse erwartet bzw. verlangt werden.

UNIVERSITAS Austria: Maschinelle Übersetzung ist in Fachkreisen natürlich ein heißdiskutiertes und oftmals gefürchtetes Thema – wie steht die EU-Kommission dazu?

Werner Grünewald: Maschinelle Übersetzung wird bereits verwendet und wird in Zukunft immer mehr benutzt werden. Sie wird aus der Übersetzungstätigkeit der Zukunft nicht mehr wegzudenken sein und daher halte ich es für falsch, die Augen davor zu verschließen.

Unsere Übersetzer leisten großartige Arbeit und wir werden sie auch in Zukunft benötigen, ihr Aufgabengebiet wird sich allerdings wandeln. Viele Übersetzer befürchten, dass ihre Tätigkeit keine Zukunft mehr hat. Dem stimme ich persönlich nicht zu – wer aber definitiv keine Zukunft mehr haben wird, ist der Übersetzer von 1980, der für seine Arbeit gedruckte Wörterbücher konsultiert und keinerlei maschinelle Hilfsmittel verwendet.

Große Bedeutung gewinnen auch Daten und damit verbunden der Datenschutz: von unseren zukünftigen Dienstleistern erwarten wir, dass sie in dieser Hinsicht auf dem neuesten Stand sind und Datenschutz und Geheimhaltung gewährleisten können.

Wie so oft in Umbruchphasen ist auch auf dem Weg zur Übersetzung der Zukunft Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und die richtige Dosis Optimismus gefragt.

UNIVERSITAS Austria: Vielen Dank, Herr Dr. Grünewald, für Ihre Zeit und das ausführliche Gespräch!

 

 

Dr. Werner Grünewald studierte VWL und promovierte im Bereich Statistik. Schon seit 1992 ist er in verschiedenen Funktionen für die EU-Kommission tätig. Seit 2016 leitet er das Referat für Externe Übersetzung.

Herr Dr. Grünewald ist 64 Jahre alt, gebürtig aus Nürnberg, verheiratet mit 4 Kindern und mittlerweile 3 Enkelkindern.

Nützlicher Link: https://ec.europa.eu/info/tender/trad19_en

 

Das Interview führte Bettina Schreibmaier-Clasen. Sie arbeitet freiberuflich als Fachßübersetzerin für die Sprachen Deutsch, Englisch und Spanisch für verschiedene internationale Kunden und ist vor allem auf die Bereiche Technik und Recht spezialisiert. Als Vorstandsmitglied von UNIVERSITAS liegt ihr vor allem die kontinuierliche Weiterbildung von Übersetzern und Dolmetschern am Herzen.

 

 

 

Beitragsbild: © European Union 2017 – source:EP – Architecture Studio / Genevieve ENGEL