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Betrachtungen einer, die sie als Dolmetscherin bezeichneten

Letzte Woche wurde ich zur Krankenhausdolmetscherin. Ich habe eine Schwangere drei Tage lang bei ihren Untersuchungen im Krankenhaus begleitet. Eigentlich bin ich keine ausgebildete Dolmetscherin. Ich habe Philosophie und Literaturwissenschaft studiert und bin erst in diesem Semester zu euch gestoßen. Vielleicht haben sich auch deshalb Fragen für mich aufgeworfen, die ihr euch schon längst beantwortet habt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich glaube, euer Erfahrungsbündel im Bereich des Dolmetschens ist viel größer, viel schwerer als das meine. Meine Tasche ist noch federleicht. Ich möchte trotzdem versuchen, meine Erfahrungen mit euch zu teilen.

Zwei Momente, die die Arbeit von Dolmetscher*innen prägen, haben mich in ihrer Intensität überrascht und besonders beschäftigt:

1. Die Intimität bzw. Nähe, die im Prozess des Dolmetschens zwischen Dolmetscher*in und Klient*in entsteht und

2. die unglaubliche Verantwortung, die mit dem Beruf der Dolmetscher*innen verbunden ist.

Zuerst ein paar Gedanken zur Nähe:

Die Nähe, die innerhalb kürzester Zeit zwischen Dolmetscher*in und Klient*in entsteht, hat mich, wie schon gesagt, überrumpelt. Es ist unglaublich schwierig, eine Distanz zu deinem Gegenüber, deiner Klient*in zu wahren, besonders in diesem seltsamen Zwischenraum des Krankenhauses. Ich glaube, der Raum des Dolmetschens, der Kontext, in dem sich das Dolmetschen ereignet, hat einen großen Einfluss auf die Beziehung zwischen Dolmetscher*innen und Klient*innen.

Im Krankenhaus habe ich zuerst einmal unzählige Formulare für meine Klient*in ausgefüllt. Formulare, die sich nicht mit Namen, Geburtsdatum und Größe der Klientin zufriedengeben. Die Formulare fordern immer mehr, fressen gierig Daten in sich hinein, sie entblößen die Klientin: Geburtsdatum, Blutgruppe, Erbkrankheiten, Allergien, Fehlgeburten, die letzte Menstruation, Größe, Gewicht, Kindsvater des ersten Kindes, Religion, Operationen, Kindsvater des 2. Kindes, Schwangerschaftsabbrüche, Verhütungsmittel und Nationalität. Manche Fragen lasse ich aus. Ich verschiebe sie feige auf später, ich möchte diese bestimmte Grenze, die eigentlich fremde Menschen voneinander trennt, nicht überschreiten. Die Daten sind ja eigentlich nicht für mich bestimmt, sie sind etwas unglaublich Persönliches, sie versuchen das Leben meiner Klientin auf ein Blatt Papier zu verbannen. Plötzlich lese ich in ihrem Leben und ich fühle mich dabei wie ein Eindringling. Wir kennen uns ja erst seit einigen Stunden.

Ich möchte ihr schmerzhafte Erinnerungen ersparen, doch mein Pflichtbewusstsein siegt und kein Feld bleibt leer. Diese Dokumente sind brutal. Um ihre medizinische Behandlung zu sichern, bin ich dazu genötigt, sie mit Fragen zu peinigen. Darf es Fragen geben, die man nicht stellen kann oder nicht stellen darf, Fragen, die einem viel zu persönlich vorkommen?

Das gemeinsame Warten verstärkt diese Nähe, die sich plötzlich zwischen uns entspinnt. Die kreisende Zeit des Wartens und die Sprache, die nur uns beide verbindet, verwandelt uns in eine exotische Sprachinsel innerhalb des Wartezimmers. Das Warten löst bestimmte zwischenmenschliche Barrieren auf. Man kommt ins Reden und ich erfahre weiter persönliche Dinge, die eigentlich nicht für mich bestimmt sind. Wie hat sich ein*e Dolmetscher*in in dieser Situation des Wartens zu verhalten? Wie wahrt eine professionelle Dolmetscherin ihre*seine Distanz? Wäre es nicht grausam, stumm neben meiner Klientin zu sitzen? Nicht mit ihr zu sprechen, obwohl ich die beruhigende Wirkung unserer Gespräche auf sie bemerke? Obwohl ich sehe, wie viel ihr die Möglichkeit, überhaupt einmal in diesem fremden Umfeld zu sprechen, bedeutet?

Später dann im Untersuchungszimmer richten sich die Ärzt*innen primär an mich, die Dolmetscherin, sie kommunizieren mit mir. Als Sprachrohr meiner Klientin verbinden die Ärzte sie auch mit mir, sie stellen eine Beziehung zwischen uns beiden her, sie übertragen mir auf eine gewisse Weise die Verantwortung für sie. Manche Fragen kann ich auch schon beantworten, ohne mich damit aufzuhalten, sie ihr zu stellen. Ich weiß warum sie hier ist, welche Schmerzen sie hat und wann sie geboren wurde. Ich beantworte die ärztlichen Fragen gewissenhaft. In einem Moment bemerke ich, das klingt sehr seltsam, doch ich bemerke, dass ich auf eine gewisse Weise in die Rolle der Patientin geschlüpft bin, indem ich für sie spreche. Als Medium verkörpere ich auch ein bisschen die Patientin. Es scheint mir fast unmöglich, mich von ihren Beschwerden abzuschirmen. Wie geht man als Dolmetscher*in mit dieser Nähe um? Kann man überhaupt eine Distanz bewahren?

Nun zur Verantwortung:

Kleine Dolmetschfehler, verloren gegangene Informationen, könnten die Anamnese behindern und meine Klientin gefährden. Erst hier wird mir die unglaubliche Verantwortung, die mit meiner Tätigkeit hier, also der Tätigkeit der Dolmetscher*in, verbunden ist, bewusst. Ich dolmetsche hier freiwillig, ein Freund hat mich darum gebeten. Wäre es nicht besser gewesen, ein*e professionelle*r Dolmetscher*in würde hier stehen, ein*e Dolmetscher*in, der*die die medizinische Fachlexik verinnerlicht hat und nicht teilweise das Handy zu Rate zieht?

Ich erfahre hier die Bedeutung des Dolmetschens im medizinischen Bereich am eigenen Leibe. Kommunikation, eine gemeinsame sprachliche Basis zwischen Patient*innen und medizinischem Personal, ist für eine Behandlung unabdingbar. Beim Fehlen dieser gemeinsamen Kommunikationsbasis sind Ärzt*innen bis zu einem gewissen Grad machtlos, sie sind abhängig von der Kunst der Dolmetscher*innen. Die ärztliche Arbeit ist ein kommunikativer Akt. Daraus ergibt sich die Verantwortung der Dolmetscher*in. Mit ihm*ihr kann die Behandlung überhaupt erst beginnen.

Meine Klientin hat mich gefragt, ob ich später bei ihrer Geburt dolmetschen werde. Ich habe gezögert und schlussendlich abgelehnt. Ich habe mich nicht bereit gefühlt, diese Verantwortung zu übernehmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen – soll man einen Auftrag annehmen, der einen persönlich überfordert, weil man darum gebeten wird? Soll man Verantwortung tragen, der man vielleicht noch nicht gewachsen ist? Wann und in welcher Situation wurde euch bewusst, wie viel Verantwortung Dolmetscher*innen eigentlich tragen, eine Verantwortung, die meist unsichtbar bleibt?

 

von Anna Schwendinger
Anna Schwendinger studiert Russisch und Philosophie sowie im 1. Semester des MA Translation am ZTW Wien

Kommentare

  • Hallo Anna,

    ein wirklich spannendes Thema, dass du hier ansprichst. Für mich als Literaturübersetzerin besteht die Nähe zum Text und nicht zu einer Person, es ist also eine ganz andere Ausgangssituation. Umso schöner fand ich es, dass du mir hier so offene Einblicke gegeben hast. Ich habe in meinem Umfeld einige DolmetscherInnen, die sich in den letzten Monaten für Flüchtlinge eingesetzt haben. Daher haben mich ähnliche Gedanken beschäftigt, die du hier beschreibst.
    Ich hab miterlebt, wie verunsicherte, ängstliche Menschen ihre ganzen Hoffnung in diese KollegInnen legen. Auf der Reise verloren gegangene Angehörige suchen, rechtliche Auskünfte brauchen, einfach von irgendjemandem hören wollen, was sie tun sollen. Ich habe die Worte natürlich nicht verstanden, nur die Mimik, Gestik, Emotionen, aber puh – schon als “Unbeteiligte” war das ziemlich heftig. Ich ziehe meinen Hut vor dir und allen, die sich dieser Aufgabe stellen.

    Zu deiner letzten Frage: Ich denke man sollte einen Auftrag nicht annehmen, wenn man sich wirklich überfordert fühlt – sprachlich oder emotional. Respekt vor der Tätigkeit und der damit Verantwortung zu haben, finde ich allerdings wichtig. Wenn man sich dadurch jedoch gehemmt fühlt, sollte man versuchen, das zu überwinden. Aber was weiß ich schon 🙂 Ich vergrabe mich jetzt wieder in meinem Roman.

    Alles Liebe, Sabrina

    Kommentar von Sabrina Gmeiner am 4. Februar 2016 um 12:53